Mädchen und Jungen aus Goslar und Soltau beim CHI in Washington
von Otto Fricke für „Reiter und Fahrer Magazin November/Dezember 1961, Einleitung Felix Bender
Schon vor mehr als 60 Jahre waren deutsche Voltigierer in den USA, um dort das Voltigieren vorzustellen. Otto Fricke aus Goslar berichtete damals von den Erlebnissen, die Ihr hier noch einmal erleben dürft.
Wenn Mädchen und Jungen im Alter von 11 bis 16 Jahren eine Sportreise antreten in einen anderen Kontinent, dann ist das etwas ganz Besonderes – für sie, aber auch für ihre Gastgeber und ihr Publikum; wenn sie aber gar aus Germany kommen und in die USA reisen, um hier einen neuen Sport zu kreieren, dann werden sie zur Attraktion! Und so erging es den acht Mädchen und Jungen aus Goslar und Soltau, die als deutsche Voltigiergruppe zum CHI in Washington eingeladen worden waren, um hier den Amerikanern in einer Schauvorführung zu zeigen, was eigentlich „Voltigieren“ ist.
Eingeladen waren sie vom Veranstalter der „Washington International Horse Show 1961″, ausgewählt vom Deutschen Olympiade-Komitee für Reiterei. Als die deutsche Reiterschar am Mittag des 21. Oktober nach eintägiger Flugreise über den Atlantik bei strömenden Regen in Washington landete und aus der Viermotorigen kletterte, da wußte sie noch nicht, was sie in diesem fremden Lande erwartete. Doch erstaunlich kurz nur war die Zeit, nach der man sich in Washington eingelebt und auf seine Menschen und ihre Lebensart eingestellt hatte, bald schon fühlte man sich „wie zu Hause“, und als es am 30. Oktober galt, Abschied zu nehmen, da lagen neun er-eignis- und erlebnisreiche Tage hinter den deutschen Besuchern, ungetrübt wie der blaue Himmel, von dem eineherabstrahlte, Tage, an die sich die jungen deutschen Voltigiersportler begeistert zurückerinnern und die ihnen unvergeßlich bleiben werden. Und (…) Neben den offiziellen Auftritten der Voltigiergruppe – zehn an sechs Turniertagen begleitet von warmer Anteilnahme und herzlichem Applaus der Zuschauer, ein jeder zu einem großen Erfolg sich gestaltend – waren es gerade die Erlebnisse und Episoden am Rande des Geschehens, die sich den jungen Menschen besonders eingeprägt und ihnen Eindrücke von bleibender Kraft vermittelt haben.
Der eigentliche Gastgeber der deutschen Voltigiergruppe war Mr. Charles Todd Newberry, Vater der auch in Deutschland gut bekannten amerikanischen Olympia-Dressurreiterin Jessica Newberry. Bei ihm war die Anregung seiner Tochter, einmal eine deutsche Kinder-Voltigiergruppe als Schaunummer zu einem US-Turnier zu holen, auf fruchtbaren Boden gefallen und hatte den Anstoß zu der Einladung gegeben. Keine Vorführung – und mochte sie noch so spät abends stattfinden – ließen die Newberrys aus, und man konnte Mr. Newberry ansehen, wie er so, die Zigarre in der einen Hand, den Kopf in die andere gestützt, schmunzelnd in seiner Loge saß und keinen Blick von der Voltigiervorführung ließ, welch große Freude ihm immer von neuem die jungen Reiterakrobaten aus Deutschland machten. Jessica aber, die selbst in einer zweiten Schaunummer ihren Forstrat in einer glänzenden Dressurkür ritt, versäumte keine Gelegenheit, ihren jungen deutschen Freundinnen und Freunden zu versichern: „Ihr wart ja wieder einfach doll!“ So war es kein Wunder, daß sie wegen ihrer netten Art – aber auch ob ihrer Reitkunst – bald von diesen regelrecht angehimmelt wurde. Und diese Freundschaft zwischen den deutschen Besuchern und der Familie Newberry setzte sich im Stall fort (dem Keller der Turnierhalle, in dem in Boxen an die 400 Pferde standen): Ernst Worbs, der Betreuer der Voltigierpferde und übrigens Reitlehrer in Goslar, hatte sich bald mit Knud, seinem Stallnachbar, dem aus Dänemark stammenden, recht gut deutsch sprechenden Pferdepfleger der Newberrys angefreundet, der ihm manchen guten Tip in der für ihn ungewohnten Umgebung geben konnte.
Höhepunkt war das Erscheinen des Präsidentenpaares John und Jacqueline
Kennedy zum Hauptspringen des CHI um den „President of the United States Challenge Cup“. Doch leider blieben die beiden nur kurze Zeit und nicht bis zur Voltigier-„Exhibition“, die immer erst sehr spät abends – zwischen 23 und 24 Uhr – stattfand, obwohl der Turnierleiter die Vorstellung der Deutschen in der Präsidenten-loge vorgesehen hatte; und so hatten unsere jungen Voltigeure ihre Beruhigungspillen umsonst geschluckt! Dafür war aber der jüngere Bruder des Präsidenten, der US-Justizminister Robert Kennedy, selbst Oberhaupt einer umfangreichen Reiterfamilie, am Eröffnungsabend des Turniers höchstpersönlich in die Bahn gekommen, um die Mitglieder der deutschen Voltigiergruppe offiziell in den USA willkommen zu heißen. „Glad to see you!“ sagte er lächelnd und schüttelte jedem freundschaftlich die Hand (was die Mädchen zu dem heroischen Beschluß veranlaßte, sich in Anbetracht solch allerhöchsten Händedrucks die rechte Hand drei Tage lang nicht zu waschen!! Ob sie ihn eingehalten haben, ist nicht überliefert!).
Aber nicht nur die Prominenz der Politik und des öffentlichen Lebens, auch die der Springreiterei war Gegenstand lebhafter Bewunderung.
Und hier wurden die Stars der US-Springequipe, die mit Frank Chapot und Hugh Wiley sowie zwei jungen, hochtalentierten Amazonen am Start war, in den Schatten gestellt von erst achtzehnjährigen Argentinier namens Carlos Damm, der – in seiner Reitweise ein Mittelding zwischen Schockemöhle und Schridde – mit glänzenden Ritten und zwei Siegen, u. a. im Springen um den Präsidenten-Pokal, auf sich aufmerksam machte. Sein Autogramm, erjagt im gemeinsamen Hotel, war das Prunkstück der
Sammlung der deutschen Voltigierjugend, die im übrigen gleichermaßen eifrig Autogramme geben mußte!
Ausführlich und freundlich war die Ansage, mit der die deutsche Voltigiergruppe („Equestrian gymnasts“) bei jedem ihrer Auftritte angekündigt wurde. „And now“, so ließ sich der Announcer vernehmen, „the children equestan team from Goslar – Germany”, vorgestellt von „his most successful leader and coach Mrs. Arnecke” mit dem Pferd „Golden Boy“, mit dem die Gruppe alle ihre „championships“
gewonnen hat. Es folgte die namentliche Vorstellung sämtlicher Kinder und ein herzliches Dankeswort zum Schluß. Die Turnierleitung aber bedankte sich bei ihren deutschen Gästen für ihr Kommen und ihre Vorführungen mit einer wertvollen silbernen Schale mit der gravierten Widmung: „With appreciation from Washington International Horse Show 1961“ – In dankbarer Würdigung…!“ Sie wurde am letzten Turniertag, dem „Deutschen Tag“ zu Ehren der Voltigiergruppe, durch den
Stellvertreter des Deutschen Botschafters, den Gesandten von Lilienfeld, der Gruppe feierlich überreicht
Standquartier der Voltigiergruppe in Washington war das „Motor-Hotel The Diplomat“, erst vor einem Jahr fertiggestellt und mit allen Schikanen neuzeitlicher amerikanischer Hotellerie ausgestattet. War das eine Auf-regung, als die jungen Gäste ihre Zimmer in Besitz nahmen! Fernsehen, Klimaanlage, und ach – ein eigenes Bad in jedem Zimmer! Und Telefon – wie schön konnte man von Zimmer zu Zimmer telefonieren (die arme Hotel-Zentrale!). Es war einfach alles „ganz toll“, eine „Wucht in Tüten“! Wenn man sich da nicht wohlfühlte . . .! Und diesem Wohlgefühl tat es auch kaum Abbruch, daß die amerikanische Speisekarte nicht immer und unbedingt nach dem Geschmack der Besucher war. Nachdem man einiges probiert hatte, erschienen „Scrambled eggs“ (zu deutsch ganz einfach Rühreier). und „Seven up“ (ein nach Kräutern schmeckendes Brausegetränk mit Eiswürfeln) schließlich bevorzugt auf der Bestelliste!
Überwältigend war die Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft bei allen Menschen, mit denen die deutschen Besucher zusammentrafen, und einmalig ihr Sinnen und Bemühen, ihren Gästen Gutes zu tun und Freundlichkeiten zu erweisen. Ein Deutschamerikaner namens William Heinz Meyer, selbst alter Reiter und vor neun Jahren aus der Gegend von Verden nach den Staaten ausgewandert, heute als Elektrical Inspector bei der Washingtoner Stadtverwaltung tätig, hatte sich eigens einige Tage Urlaub genommen, um die Besucher aus Deutschland in rührender Weise zu betreuen und zu fahren, vom Motel zur etwa 5 km entfernten Turnierhalle und zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten dieser Stadt. Hierfür war ihm wiederum von einer Kaufleute-Vereinigung ein VW-Kleinbus zur Verfügung gestellt worden, und der zufällig in Washington anwesende Präsident der Volkswagenvertretungen in USA – selbst Amerikaner – organisierte spontan einen Rundflug über Washington in mehreren gecharterten Hubschraubern! Der Kommandierende General der Nationalgarde, Abendroth, Hausherr der Turnierhalle („National Guard Armoury“), der sich die Mitglieder der Gruppe in seinem Dienstzimmer persönlich vorstellen ließ, stellte ebenfalls seinen riesigen Dienstwagen mit Fahrer zu einer Besichtigungsfahrt zur Verfügung, und mehrfach waren die Deutschen Gäste von Mr. Hughes, dem Inhaber der Budweiser-Brauerei in Washington und Besitzer eines größeren Turnierstalles.
Und wie in Washington, so nahmen sich beim Rückflug während eines sechsstündigen Aufenthaltes in New York auch hier Deutschamerikaner mit großer Freundlichkeit ihrer deutschen Besucher an. Sie holten sie vom Flugplatz ab und führten sie durch Manhattan und seine Häuserschluchten, zum UNO-Gebäude am East River, zum Rockefeller Centre und zum Empire State Building, dem höchsten Bauwerk der Welt! (…) War das ein Erlebnis für die jungen Reiter, vom 102. Stockwerk herabzusehen auf die riesige Stadt, den großen Hafen mit der Freiheitsstatue in seiner Einfahrt, auf das Häusermeer tief unter ihnen und die vielen Wolkenkratzer ringsumher. Im UNO-Gebäude aber, im Sitzungssaal der Vollversammlung, beeindruckte besonders ein technisches Meisterwerk: die Kopfhörer für die Simultan-Übersetzung in fünf verschiedenen Sprachen. Und man konnte sie sogar selber ausprobieren! – „Das ist ja wirklich eine ganz reizende Gruppe“, äußerte einer der liebenswürdigen Gastgeber in New York über seine jungen deutschen Gäste, eine KLM-Reisetasche für jeden war sein Erinnerungsgeschenk, und zum Abschluß dieses Zwischenbesuchs in New York meinte er, er habe seit langer Zeit nicht einen solch netten Montag verlebt.“
Eine Reise in die Neue Welt und in die beiden Metropolen der Vereinigten Staaten – wem wird das schon in so jungen Jahren geboten? Die Mädchen und Jungen aus Goslar und Soltau und ihre Begleiter waren sich der großen Auszeichnung, aber auch der Aufgabe und Verpflichtung bewußt, die ihnen mit ihrer Auswahl und Entsendung zuteil geworden war. Sie haben sich bemüht, gute Botschafter des deutschen Reit- und Voltigiersports und ihres Heimatlandes in den Vereinigten Staaten zu sein, und sie dürfen heute das schöne und dankbare Gefühl haben, daß sie in diesem Bemühen nicht ohne Erfolg geblieben sind.
Gut und wohlbehalten kehrten die jungen Weltreisenden nach 12 000 km Flug „über Länder, Meere und Kontinente“ in ihre Heimatstädte zurück, begeistert und erfüllt von dem, was sie gesehen und erlebt hatten. Zu Hause und in der Schule standen sie natürlich tagelang im Mittelpunkt des Interesses, mußten erzählen und immer wieder erzählen, und sie taten es gern. Und werden sie heute gefragt, ob sie denn wohl noch einmal nach Amerika fliegen würden, dann sagen sie strahlend: „Klar, jeden Tag!“ (Und der Chronist, der mit drüben war, sagt es auch!!)
Hinweis: Der Bericht wurde bewusst in der originalen Schreibweise veröffentlicht.